„Testlesen. Handbuch für effektives Feedback“ von Sonja Rüther
Als ich den Titel zum ersten Mal gesehen habe, war ich neugierig, welche Zielgruppe dieses Buch bedienen soll und was das Ziel des Ratgebers ist. Eine Hilfestellung für Menschen, die gern testlesen? Ein Leitfaden für Autoren, um die besten Testleser für das eigene Projekt zu finden und die Kritik richtig einzusortieren und umzusetzen?
Bereits das Vorwort hat mich misstrauisch gemacht. „Vorwort der Testleserin“ steht da, geschrieben von Hanka Jobke, die im Impressum als Lektorin des Buches aufgeführt wird. Testlesen und Lektorieren sind ganz verschiedene Tätigkeiten, die – meiner Meinung nach - auf keinen Fall miteinander verwechselt oder gleichgestellt werden sollten. Gerade bei den wenig erfahrenen Autoren könnte dadurch schnell der Eindruck entstehen, dass ein guter Testleser einen Lektor und einen Korrektor ersetzen könnte.
Leider wird dieser Eindruck an einigen Stellen des Buches sogar unterschwellig verstärkt, zum Beispiel im Abschnitt auf der Seite 46, wo unter dem Einleitungssatz „Wer gern mehr machen möchte, kann sich mit diesen klassischen Aspekten der Textarbeit auseinandersetzen“ versucht wird, aus einem Testleser einen halben Lektor/Korrektor zu machen und Punkte wie „Perspektiven“, „Dialoge und Fäkalsprache“, „Zeichensetzung“, „Wortwiederholungen“ im Schnelldurchlauf abgehandelt werden. Selbstverständlich gibt es Testleser, die wunderbare Antennen für Wortwiederholungen oder einen guten Blick für Perspektivenfehler haben. Und es gibt Testleser, die sich für das Handwerk interessieren und sich mit der Fachliteratur weiterbilden, aber so ein kleiner Umriss bringt niemanden weiter. Viel eher könnte er den einen oder anderen Testleser verunsichern.
Leider gelingt es diesem Buch nicht, eine Brücke zwischen dem Autor und dem Testleser zu bauen oder klarzustellen, für wen dieser Ratgeber eigentlich gedacht ist. Ständig springt er hin und her, so dass mal die eine, mal die andere Partei angesprochen wird, ohne eine klare Linie zu bilden.
Viele Passagen sind für einen Testleser schlichtweg irrelevant, wie der Abschnitt auf der Seite 44, der behandelt, aus welchen Gründen Verlagslektoren ggf. ein Manuskript ablehnen. Es ist nicht die Aufgabe eines Testlesers, das Manuskript auf die Marktfähigkeit und Verlagstauglichkeit zu prüfen. Ist es also doch eher ein Ratgeber für Autoren, um ihnen zu helfen, einen passenden Testleser für ihr Projekt zu finden? Ja, das wird natürlich angesprochen, doch konkrete Tipps bleiben aus. Beispielsweise auf der Seite 15 unter dem Punkt „Andere Autoren“: „Hier wird es schon wärmer“, schreibt Sonja Rüther. „Es bedeutet, dass man sich mit Menschen zusammentut, die das gleiche Ziel und dementsprechend einen seriösen Blick auf das Handwerk haben. Es bietet sich an, gegenseitig Texte testzulesen und dabei einen konstruktiven Austausch zu pflegen.“ Doch wo und wie findet ein angehender Autor einen solchen Partner? Er kann schließlich nicht aus heiterem Himmel einen anderen Autor anschreiben und fragen, ob sie gegenseitig die Manuskripte testlesen wollen. Diese Antwort bleibt „Testlesen. Handbuch für effektives Feedback“ den Lesern schuldig.
Wie kann der Autor sich entscheiden, welcher Testleser am besten zu ihm passt? Zwar gibt es zwei Abschnitte „Typbestimmung Autoren“ und „Typbestimmung Testleser“, doch das ist eher witzig gemeint, absichtlich überspitzt dargestellt und mit niedlichen Karikaturen versehen – welcher Typ zu welchem Typ passt, bleibt ungesagt. So stellt sich die Frage, wozu dieser Abschnitt fachlich überhaupt gut sein sollte, wenn die Zusammenfassung nur auf den folgenden Satz hinausläuft: „Wenn ihr euch oder andere in diesen Beschreibungen wiederfindet, dann dienen diese (überzeichnete) Typen nur dem Verständnis.“ (S. 34) Aber dem Verständnis wovon? Zumal diese Typen und ihre Bedeutung im Buch nicht weiter aufgegriffen werden.
Zum Schluss noch ein wichtiger Hinweis, der angebracht werden muss: Auf Amazon wird der Umfang des Taschenbuches mit 100 Seiten angegeben. Tatsächlich kommt bereits auf der Seite 69 „Ein persönliches Schlusswort“. Die letzten 20 Seiten sind sogar gänzlich leer, denn dieser Platz ist für „Notizen“ gedacht. Wenn man bedenkt, dass die ersten 12 Seiten mit einem Vorwort der Lektorin des Buches und der Einleitung der Autorin belegt sind, bleiben dem eigentlichen Sachbuch nur 56 Seiten übrig.
Fazit: Autoren und Testleser – es ist ein spannendes und wichtiges Thema, das, richtig aufgearbeitet, als Ratgeber beiden Seiten viel bringen kann. Doch diesem Buch mangelt es an der genauen Zielausrichtung und konkreten Tipps, die darüber hinaus gehen, was man sonst auch im Internet finden könnte.
Olga A. Krouk