Langeweile vermeiden
Von der Notwendigkeit des Konflikts
Bitte lesen Sie zunächst die folgende Textpassage:
Es war nicht der erste Sonntagabend, den sie vor dem Fernseher verbrachten und es würde auch nicht der letzte sein. Pünktlich um halb acht hatten sie gemeinsam den Geschirrspüler ausgeräumt. Marie hatte dann die Schnittchen bereitet und er hatte den Rotwein geöffnet. Eigentlich vertrug er schon lange keinen Rotwein mehr, aber Marie wollte nur ungern darauf verzichten und sie trank nicht gern allein.
Gemeinsam trugen sie ihr kleines abendliches Festmahl ins Wohnzimmer, drehten die Heizung höher. Er hatte seine Brille vergessen, Marie holte sie ihm, dann wurden sie ruhig, die Tagesschau war noch immer eine Sendung, die Achtsamkeit verdiente. Eine kurze Unterbrechung, sie legte ihm ein Schnittchen auf den Teller, er schenkte ein. Schließlich die bekannte Tatort-Melodie.
„Oh, aus Münster“, sagte sie begeistert. Er freute sich für sie. Die aus Wien waren immer so schwer zu verstehen. Aber was war eigentlich aus der blonden Kommissarin mit dem Kind geworden?
„Sag mal Marie …“, fing er an.
„Pst“, sie winkte ab. Sie hörte schlecht, aber wegen der dünnen Wände wollten sie den Fernseher nicht lauter drehen. Rücksicht war ihnen eigen. Pflichtgefühl. Vornehme Zurückhaltung. Sie hatten ihr Leben ruhig und unauffällig verbracht. Es war ihnen immer gut gegangen. Dem Alter sahen sie mit Gelassenheit entgegen. Die Kinder waren erwachsen, hatten ihren Weg ins Leben gefunden. Er konnte sich entspannen. Blickte liebevoll zu ihr hinüber und genoss den schönen Fernsehabend.
Wie ist es Ihnen beim Lesen ergangen? Haben Sie sich gelangweilt? Haben Sie versucht, zwischen den Zeilen zu lesen? Auf den Moment gewartet, da sich die scheinbare Harmonie in ihr Gegenteil verkehrt?
Als geübter Leser haben Sie vermutlich bei jedem Satz überlegt, welcher Anlass zum Konflikt sich dahinter verbergen könnte. Am Anfang dachten Sie vielleicht, es würde doch der letzte Abend sein. Dann hatten Sie den Rotwein im Verdacht, würde er eine Vergiftung auslösen? Eine allergische Reaktion? Oder würde ein Streit ausbrechen? Würde jemand schreien, würden sich 60 Jahre unauffälliges Dasein schließlich in Rücksichtlosigkeit und Hass verwandeln? Doch nichts geschah. Das ist das Ungewöhnliche, das enttäuschend Ungewöhnliche.
Fügen Sie mehrere Situationen wie die hier gewählte in eine Erzählung ein und Sie können sicher sein, dass niemand sie lesen will. Es gibt keine Tageszeitung, die über eine harmonische Welt berichtet. Und keinen Roman, der ohne Konflikte auskommt. Ohne einen Grundkonflikt, der den großen Spannungsbogen bildet. Und ohne die vielen kleinen Konflikte, die uns als Leser Seite für Seite in Atem halten.
In Gedanken haben Sie diese wohl schon während des Lesens hinzugefügt. Führen Sie dies nun bewusst aus. Überlegen Sie sich, welches Problem oder welcher Konflikt die Situation überlagern könnte. Holen Sie den Tatort in Ihren Text! Lassen Sie etwas durchscheinen, deuten Sie an, warum die Ruhe trügt, oder fügen Sie gleich Handlungen ein, die den Plan der beiden Eheleute, einen ruhigen Abend vor dem Fernseher zu verbringen, durchkreuzen.
Verändern Sie nichts an der Grundsituation, aber alles an einem unguten Gefühl, das sich beim Lesen dieser Textpassage einstellt: Langeweile.
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