Vom Figurenentwurf zur Charakterentwicklung
Als Autor:in sind Sie zuweilen wie jemand aus der Personalabteilung, der nach geeigneten Mitarbeitern für sein neues Projekt Ausschau hält. Dabei werden Sie zunächst Lebensläufe einsehen, in denen die üblichen biografischen Daten vorhanden sind. Ein imaginäres beigefügtes Foto gibt zudem Auskunft über das Aussehen Ihrer Figur. Doch die reine Faktensammlung reicht selbstverständlich nicht aus, eine Figur zu kreieren, an deren Geschichte Leser:innen Anteil nehmen. Jeder Roman, jede Erzählung lebt davon, dass aus Durchschnittstypen ambivalente, mehrdimensionale Charaktere werden. Um dies zu leisten, müssen Sie vom Personalverantwortlichen zur Anwältin Ihrer Figuren werden, die sie in ihrer Besonderheit und Eigenart kennt und verteidigt.
Im Folgenden geben wir Ihnen die biografischen Daten zweier Personen vor. Ihre Aufgabe besteht darin, sich diese Personen vorzustellen, und sie über die Handlung miteinander in Beziehung zu setzen. Dabei bleibt es Ihnen überlassen, ob die beiden sich schon lange kennen oder ob sie über einen Konflikt oder eine Störung nun erst miteinander Bekanntschaft machen. Wichtig ist, dass sofort ersichtlich wird, dass es sich um zwei ganz besondere Menschen handelt, die von Ihnen geschildert werden.
Person 1
Marion B. aus Lübeck, 45 Jahre alt, ältestes von vier Geschwistern. Vater war Verwaltungsfachangestellter, Mutter Hausfrau. Frau B. ist verheiratet, ihr Mann ist Kfz-Mechaniker, aber seit zwei Jahren arbeitslos. Sie haben einen gemeinsamen Sohn, 20 Jahre alt, er studiert Informatik in Bremen. Zum Zeitpunkt, da ihr Mann arbeitslos wurde, hat Frau B. ihren alten Beruf als Fachverkäuferin in einem Sportgeschäft wieder aufgenommen. Sie und ihr Mann sind begeisterte Hobbygärtner und Camper.
Frau B. ist 1,65 m groß, hat dunkelblondes, schulterlanges Haar und grau-blaue Augen. Sie kleidet sich unauffällig, trägt sowohl Röcke als auch Hosen, ist immer darum bemüht, sich freundlich und angemessen zu verhalten.
Person 2
André K. aus Köln, 33 Jahre alt, jüngstes von drei Geschwistern. Arbeitet als Dozent im Fach Informatik an der Universität Bremen. Der Vater ist Professor für katholische Theologie, Mutter ist Ärztin. Die Eltern sind seit zehn Jahren geschieden. André hat ein gutes Abitur gemacht und gleich im Anschluss studiert, dann sofort eine Anstellung an der Universität erhalten. Er promoviert gerade, hat mit seiner Lebenspartnerin eine Eigentumswohnung gekauft und steht dem Leben optimistisch gegenüber.
André ist 1,78 m groß, hat schwarzes, lockiges Haar und grüne Augen. Er kleidet sich gern sportlich-elegant und gibt viel Geld für teure Herrendüfte und italienische Schuhe aus. Er fährt einen dunkelblauen Audi A4 Avant. Er ist Mitglied im Schach- und im Computer-Klub. Er ist mit 18 Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten, was zu Konflikten mit seinem Vater geführt hat, die noch immer nicht ausgeräumt sind.
Bringen Sie diese beiden Figuren nun über eine Handlung zusammen. Achten Sie darauf, dass sie dabei nicht nur äußerlich beschrieben werden, sondern auch innere Motive, Absichten, Emotionen sichtbar werden. Ergreifen Sie Partei für Ihre Figuren, indem Sie das Besondere an ihnen darstellen. Vielleicht haben Sie schon beim Lesen der kurzen biografischen Skizze Sympathie oder Antipathie verspürt.
Verstärken Sie Ihre eigenen Reaktionen und Assoziationen, lassen Sie Ihren inneren Bildern, Ihren Urteilen freien Lauf. Was macht aus diesen beiden Menschen das geeignete Personal für Ihr Projekt? Was eint die beiden und was entzweit sie? Worin begegnen sie einander und was trennt sie? Kurz gesagt: Warum sollten sich Ihre Leser ausgerechnet für diese beiden Menschen interessieren oder gar begeistern?
Feedback
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